Kirchenburgen
Ein Internetblogg meines Sohnes der einige Zeit in Siebenbürgen verbrachte und nun zurückkehrt.*Titelbild: Kirchenburg in Heltau/Chisnadie (meine Lieblingskirchenburg)
Es gibt so viele Sachen, über die man staunen kann, wenn man nach Rumänien kommt. Es ist kein langweiliges Land, wie wir „Westler“ oft gerne denken. Wir wissen nur einfach nicht, was dort im wilden Osten los ist, was dort passiert ist, was dort auf sich wartet oder welche Genies dort herkommen. Rumänien verknüpfe ich jetzt auch mit: Paul Celan, den Regisseur Christian Mungiu oder Filmvampir Bela Lugosi.
Als vorbildlicher Lutheraner muss ich aber auch auf die protestantische Geschichte Siebenbürgens hinweisen, das heißt auf die Siebenbürger Sachsen zu sprechen kommen und natürlich deren Heiligtümer: die Kirchenburgen.
Meinem Vater, der vor einigen Monaten zu Besuch nach Rumänien gekommen war, wollte ich dieses wichtige und sehenswerte Kulturgut natürlich nicht vorenthalten und beschloss mit ihm eine Tour durch das „Sachsenland“, also praktisch Süd-Ost-Siebenbürgen, zu machen und ihm zwei, drei Burgen zu zeigen. Ich suchte mir einige Burgen im Internet heraus und wir fuhren mit dem Auto dort hin.
DSC_0310
DSC_0176
DSC_0108
Doch schon die Anfahrt ließ erahnen, dass auch der Rest ein Horrortrip werden würde: Übersät von Schlaglöchern versuchten wir die Straße entlangzukommen ohne dem Auto Schaden zuzufügen. Wir waren beide froh endlich angekommen zu sein, denn uns war von der holprigen und kurvenreichen Fahrt schlecht geworden.
Wir schauten zum Kirchenturm hoch, der sich in einem schrecklichen Zustand befand und gingen zum Burgtor. Dort stand geschrieben, dass man den Schlüssel zur Burg bitte bei einer Famile abholen solle mit deren Hausnummer. Doch dieses Haus konnten wir nur nach langer Suche finden. Ich betrat den Hof und kündigte mich auf rumänisch und deutsch laut an. Plötzlich kam ein sichtlich erregter alter Mann vom Feld und schrie mich an, ich solle sein Grundstück sofort verlassen und den Schlüssel solle ich mir vom Pastor holen. Ich rannte sofort weg, weil er mir immer näher kam und eine Schaufel in der Hand hatte.
„Das ist also ein UNSECO-Weltkulturerbe?“, entgegnete mir mein Vater und ich wurde ein bisschen wütend, dass wir gerade dorthin gefahren waren, weil er jetzt einen schlechten Eindruck über Siebenbürgen hatte.
DSC_0182
Stein/Dacia/Garát
Natürlich ist die Situation nicht bei jeder Kirchenburg so katastrophal wie beim gerade genannten Beispiel und ich habe bestimmt auch einfach Unglück gehabt und der „Vorführeffekt“ hat sich von seiner besten Seite gezeigt.
Es wird einfach immer schwerer diese tollen, aber leider alten und oft maroden Gebäude in Stand zu halten. Viele Sachsen sind bekanntlich nicht mehr vor Ort. Sie leben jetzt seit einigen Dekaden in Deutschland, sind schon etwas älter und kehren höchstens im Sommer in ihre Domizile in Siebenbürgen zurück. Es gibt praktisch keine sächsische Bevölkerung mehr in Rumänien, die eine solche Kirche unterhalten kann. Das Gemeindeleben ist in größeren Orten zwar noch einigermaßen intakt, aber mit steigendem Alter der Restbevölkerung wird sich auch das ändern.
Selbstverständlich stehen mit dem Aus des sächsischen Lebens auch die Pflege und Nutzung der Kirchenburgen vor einem Fragezeichen. Erst im Frühjahr diesen Jahres gab es zwei traurige Vorfälle: Zwei Kirchtürme sind, wegen maroder Bausubstanz und fehlender Instandhaltung, fast komplett eingestürzt. Dabei können diese Bauten auch eine Gefahr für das gesamte Dorf darstellen, wenn sie sich zum Beispiel direkt neben anderen Häusern oder Landstraßen befinden.
Die Kirchen mit ihren Schätzen werden auch des Öfteren Opfer von Kleinkriminalität: Über die Jahren verschwindet die ein oder andere Ausschmückung, ein Kelch oder der vergoldete Kerzenhalter. „Na, diese faulen, stibitzenden Zigeuner!“, höre ich da in meinem Kopf viele Sachsen sich erboßen. Doch eine schöne, restaurierte Kirche mit allerhand Schätzen umringt von Armut ist nunmal kein standhaftes Zukunftsmodell. Und man muss sich klar werden: Eine Kirche, das ist kein Ort ausschließlich für Priviligierte, sondern im Idealfall ein Ort der Zusammenkunft, des Miteinandern, der Solidarität. Zwangsläufig muss, auch wenn das viele Sachsen nicht sehr schätzen, die Bevölkerung vor Ort integriert werden, damit die Kirchenburg auch in 100 Jahren noch steht und kein Anachronismus in einem rumänischen Dorf des Jahres 2016 bleibt. Und das sind in vielen Fällen die Roma.
Modellprojekte für eine solche Integration gibt es: Im kleinen Ort Trappold, unweit von Schäßburg (Sigisoara) wir die Kirche mit Hilfe von EU-Geldern finanziert. Bei der aufwendigen Restauration, die auf der Eigenintiviative eines Ehepaares beruht, werden aber auch die Einwohner miteinbezogen und eingeladen: Die Kirche und der Burghof dient als Treffpunkt, für Kinoabende oder Vorträge. Gleichzeitig gibt es auch, von Freiwilligen betreut, Nachmittagsangebote für Kinder und Jugendliche in den Stuben des Burgrings. Es gibt weitere „Vorreiterprojekte“, bei denen beispielsweise die lokale Bevölkerung in den Restaurationsprozess einbezogen wird und dadurch gezielt gefördert und angetrieben werden zum Beispiel eine Schreinerlehre oder ähnliches anzufangen. Wieder andere Kirchenburgen dienen als einzigartige Seminar- oder Festivalorte, wie die Burgen in Holzmengen (Hosman) oder Bierthälm (Biertan) und helfen der lokalen Wirtschaft, zumindest in den Sommermonaten.
Das Vermächtnis der Sachsen kann also Erhalten bleiben, doch auch nur, wenn man sich der traurigen Realität des Verschwindens der „eigentlichen“ Bevölkerung stellt. Es ist nun mal so, wie es ist und das kann kein Sachse mit seinem Schwelgen vom schönen Verflossenen aufhalten.
DSC_0159
Honigberg/Harman/Szászhermány